Ältester Baum in Farge
540 Jahre alte Eiche an der Samlandstraße von Heinrich Garrn (Heimatblatt Nr. 8, Juni 1964)
Mancher Spaziergänger wird nicht ahnen, daß dieser „Methusalem“ unter den Bäumen unseres Heimatgebietes länger als ein halbes Jahrtausend seinen Platz behauptet hat. Sein längst vergessener Pflanzer, unser unbekannter Farger Urahn, hat den Ausspruch beherzigt: „Hast du einen Raum pflanz‘ einen Baum und pflege sein, er bringt dir’s ein! Und wenn du auch nicht ahnst, wer einst in seinem Schatten tanzt, bedenke doch, daß deine Ahnen, ehe sie dich kannten, auch für dich gepflanzt!“
Sicher hat unser Vorfahre eine ganze Anzahl von Eichbäumen um Haus und Hof gepflanzt, von denen nur einer die Unbilden der Witterung und die stürmischen Kriegszeiten gut überstand und auch den tierischen und pilzlichen Schädlingen nicht zum Opfer fiel.
Niemand weiß, wann dieser knorrige Baum gepflanzt, keiner kennt genau sein hohes Alter, und doch ist sein ungefähres Lebensatler zu bestimmen. Denn es ist bekannt, daß ein Eichbaum von einem Meter Durchmesser, unter normalen Wachstumsverhältnissen groß geworden, ein Alter von 350 Jahren hat. Durch eine Verhältnisgleichung ist das jetzige Lebensalter mit 540 Jahren errechnet. Somit fällt seine Pflanzzeit in das Jahr 1424.
Versetzen wir uns einmal in die damalige Zeit, die wir das Mittelalter nennen, zurück. Unser Veteran könnte uns manches berichten:
Um das Jahr 1400 begannen die Hexenprozesse. Unschuldige Frauen und Mädchen wurden verdächtigt durch Zauberei andern Menschen Schaden zuzufügen. Die sogenannten Hexen wurden vor den Richter geschleppt, in entehrendster Weise verhört und in Folterkammern gefoltert. Die Verbrennung der Hexen, die oft das Ende der Prozesse bildete, wurde öffentlich durchgeführt unter dem Jubel der Bevölkerung. Man sprach von einem Gottesurteil.
Die Vitalienbrüder, die Seeräuber, und deren Führer Godeke Michels und Klaus Störtebecker kamen in die Ems und Weser und wurden 1401 auf Helgoland gefangen und in Hamburg hingerichtet.
1431, sechs Jahre nach der Pflanzung unserer Eiche, passierte in Frankreich etwas Furchtbares. Eine Jungfrau im blühenden Alter von 19 Jahren, die sich aktiv für die Verteidigung ihres Vaterlandes einsetzte, wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Sie hieß Jeanne d’Arc , Schiller hielt dieses Geschehen in dem Theaterstück „Die Jungfrau von Orléans“ wach. Johann Gensfleisch, seine Mitmenschen nannten ihn Gutenberg, erfand um das Jahr 1445 die Buchdruckerkunst. 1455, als unsere Eiche schon eine stattliche Höhe erreicht hatte, lag die erste lateinische Bibel im Druck vor.
Nicht einen einzigen Farger Einwohner sah man seinerzeit mit einem glimmenden Stäbchen im Munde umherlaufen, denn erst am 12. Oktober 1492, als Kolumbus in Amerika landete, war er über diese Leidenschaft sehr erstaunt, die er bei den Indianern vorfand. Die Europäer ahmten es dann später nach.
Kartoffelstauden waren in keinem Hausgarten zu entdecken. Um das Jahr 1570 gelangten die ersten Knollen aus Amerika nach Spanien. 1621 pflanzte man die ersten Kartoffeln in Deutschland an, wo sie sich aber erst im 18. Jahrhundert stark verbreiteten.
Als unser Eichbaum an der Samlandstraße kaum 100 Jahre alt war, trug keiner unserer Ahnen eine Taschenuhr, eine dosenförmige Taschenuhr mit Feder erfand im Jahre 1510 der Schlosser Peter Henlein in Nürnberg.
Noch manches wäre zu nennen, was es hier und in der Welt vor einem halben Jahrtausend ereignete, als unsere Eiche bereits grünte und blühte.
Unser Wunsch kann nur sein, daß diese herrliche Eiche, der älteste und mächtigste Baum des Ortsteils Farge, der allen Orkanen und Donnerschlägen trotzte, den Dreißigjährigen Krieg und die beiden Weltkriege unversehrt überstand, auch noch manches Menschenleben überdauern möge zur Freude und Bewunderung unserer Nachkommen.