Ottjen sien ersten Schooldag

An de Mur von dat ole Slachthus, wat just gegenöber von Herrn Ostermann sien „Lehrinstitut“ weer, dar seeten twee dicke iesern Ringe, wo dar Slachtveh ankä’t wurd. – An den eenen von disse Ringe seet den Nahmdag Kloeke fief Minuten vor twee so’n ganz afsonnerliget Farken. Dat harr dat lunke Vorderbeen dör den Ring stäken, haude mit dat rechte rund um siek rum un gillde in eene Tour: „lck will nich nah’r Schole! Ick will nich! Ick will nah Hus henn!“ – Eene Scholdeern von tein Jahr harr ähre Arms um de Bost von dit stickhaarde Deert leggt un tockde un reet daran, un de Tranen leepen ähr darbie vor schier Angst und Upgeregtheit öber de Backen. – De Lüde, de dar just dör de Buckstraten gungen, bleeben bestahn. un harrn bald so’n lütt jen Kring slaten, um sick dat Spillwark antokieken. „Kumm doch, Ottjen! Lat doch los! So kumm doch!“ weende de Deern, „dat pingelt jo glieks! Denn kam ick to lat un mutt nahsitten! To, so kumm doch!“ – Aber use Ortjen krallde siek fast an den Ring un gillde noch ummer ludhalst: „Nä! – Nä! – lck will nich! Ick will nich nah’r Schole!“ – „Kinners nä!“ sä so’n dicke resolute Fro, „nu kiek doch Eener an, wat’n adderigen Flätangel von Jung! Dat scholl mienen sien! Den woll ick gallern!“ – „So help doch de lütt je Deern mal mit!“ wennde siek ’n anner Fro an so’n dannigen Scholjung. „Help ähr doch mal, datt se den Wutkopp nah’r Schole hennkriegt! Dat ist jo ’n ganzen … “ Dar keem mit dree langen Träen Herr Ostermann öber de Straten scheeten, un een knäpschet Lachen keek em ut de Ogen, as he dar Theater seeg. He tickde Mike vertrolich up de Schullern. nehm sienen Handstock unner den eenen un Ortjen unner den annern Arm, un ehr datt de wuß, wo dat togahn weer, seet he in’r Klasse up den sulbigen Platz, wo he van Morgen säten har. Datt Ortjen noch ummer brullde un siek mit de knurren Füste in die Ogen rumwöhlde, dat schiende Herr Ostermann garnich to hören oder to sehn.

„Na?“ – frog he nu, un klappde in de Hänne – „seid ihr denn alle wieder da?“ – „Jaaah!“ gung dar dör de Klasse, un ut jedet enkelde „Ja“ konn man de Frage ruthörn: „Hest du mi denn noch nicht sehn!“ – „Na schön!“ sä Herr Ostermann, „nun will ich euch auch mal Musik vormachen! Müßt aber ganz ruhig sein!“ – „Aaah!“ klung dar dör de Reegen. De Ogen blänkerden vor Freide, un mit Föten und Füsten wurd trampelt un trummelt. – „Aber ihr wolltet ja ruhig sein!“ reep Herr Ostermann, un stellde den Vigelinenkasten up dat Pult. As de Gesellschup endlich still weer, frog he: „Was habe ich hier denn wohl im Kasten?“ – „Herr Lehrer! Herr Lehrer! Ich weiß: Das is ’n Feigeleinen, is das!“ – „Das heißt ’n Schapsschinken!“ reep ’n annern. „Mein Vadder sagt ummer: Jannfiedelkummsnitt, Jannfiedelkummsnittl“ reep de Drudde, un Herr Ostermann dreihde sick middlerwiele nah’n Finster to un schrapde up sien „Feigeleinen“ rum, um se to stimmen. – Endlich dreihde de Lehrer sick wedder um un frog: „Na? Was soll ich euch denn mal vorspielen?“ – Knapp datt he dat Woord rut harr, dar reckden siek all twintig, dartig Arms in de Luft, un just so väl Stimmen bolkden un schreeden dör de Klasse: „Herr Lehrer! Herr Lehrer: Ich dreh mal um den Kessel! – Unkel, spiel mal: Stiele Lenacht! – Nä! Nä! Ich weiß: Das mit das auf den Kanapee! – Herr Lehrer: Ich lieg ins Bett un schwitze, mein Mann is eisig kalt! – Unkel, Unkel: Och, to doch! Franzäse! Franzäse! oder ’n Walster! – Nein, Herr Lehrer, mal ’n Radofa! Das hat mein große Schwester neuliehst in’r Hermannshalle mit ’n Mauermann mit’r weißen Boxen getanzt, un da hat se von mein Vadder welche an’r Binsen gekrigt!“
Ortjen seet wieldeß still up sienen Platz. Mit sien Blarrn un Snucken harr he sick bie lütt jen inrakt, wiel dar jo doch keen Minsch nah hörde, un to sien eegen Pleiseer pleggde he dir Geschäft nich to bedrieben. Eenglich harr em jo ok keen Minsch wat dahn, un dat wurmerde em am meisten, denn, as de Schollehrer mit em de Treppen rupseilt weer, un em al‘ sien Sparrein un Schree’n nix nutzt harr, dar harr he nich anners dacht, as datt em dat nu schändlich an Kopp un Kragen gung un sien letzter Brod woll backt weer. Aber dar weer nix passeert, dat wurmerde em. Datt de Lehrer em nu aber garnich seech, dat argerde em! Wat de annern al‘ prahl den un siek upspälden! He kennde ok Leeder, ’n ganzen Barg un ganz feine. De harr he lehrt von de Deerns in’n Huse, von de Sandschippers bie d’r Diekstraten, von Jann Grote sien Vadder, wenn de bie d’r Arbeit weer, bie’n Zigarrenmaken. Un denn de feinen von Großmudder! Aber scholl he wat seggen? – Nä! De Lehrer weer jo ganz gewiß schändlich vergrellt up em, un denn … Aber wat weer dat? Ortjen schot in eenen Kluten un keek scho umhoch, denn de grote Mann dar harr em mit den Vigelinenbagen up’n Kopp tickt un frog ganz frundlich: „Na du? Weißt du denn kein Lied? Jeder soll jetzt mal singen, was er kann. Also ruhig im Dome! Alldag kommt zuerst!“ – Wedder moß Herr Ostermann in disse groten Ogen kieken, de so klar, so eegen blau weern, as wenn man dar dör un dör kieken konn. Un de Lehrer nickde disse Ogen frundlich to, un Ottjen stund up un sung. He sung dat, wo Großmudder ummer so fein mit em henn un her danzt harr un dat heetde:

Mudder wat is dit? Mudder wat is dat?
Deern du krißt mit’r Fürtangen wat!
Heff ick di’t nicht seggt vor achtein Jahrn
Schost di vor de Mannslü wahrn!
Denn de Mannslü sund nich echt,
Gäft di wecke mit’n Stäbelknecht!

De ganze Klasse lachte un juchte öber Ortjen sien Singen un vornehmlich öber den Stäbelknecht. Ok Herr Ostermann vertrock dat Gesicht un beet de Tähne tosamen. He harr versocht, to Ottjen sienen Rheinländertakt up’r Vigelinen de Begleitung to schrapen, aber he markde bald, datt he doch man ’n bannigen Stumper weer. Ok as nu regenlangs al‘ de lütt jen Nachtigalen an to jiepeln un to piepen fungen, dar moß he noch faken sien blauet Wunner beleben. Nicht blot, datt he hier von dat lüttje Volk wat to hören kreeg, wat he up’n Semnar nich lehrt, oder öberhaupt in sienen Leben noch nich hört harr, nä, em wurd dat klar, datt dat in’r Musik noch Geheemnisse, noch Tonarten un öbergänge geef, de he noch eerst up’n Grund kamen moß, un de he mit disse unschullige Vigelinen nich twingen konn. – As he sick von den Schreck so’n bäten verhalt harr, den he dör de Apenbarung kreeg, dat he eenglich gar nix konn, dar brochde he sien Rekrutenkumpanie endlich mal wedder in Reege und Glied, un de vorgeschräben Singstunne gung los. – „Der Ku – kuk ond där A – seIl, die hat – tenn gro – ßenn Streit!“ gillde un schreede dat dör dat lütt je niedrige Gelat, un de arme Herr Ostermann schrapde un sagde an sienen Schapsschinken rum, as wenn he em vor Gewalt midden dörsnien woll. Dat blanke Sweet leekde em darbie von den Kopp runner, un de Arm bummelde em matt an’n Liebe dal, as dat Klocke dree weer, denn de Luft in den „Hörsal“ weer middlerwiele so dick worrn, datt he dar mit’n besten Willen mit sienen Vigelinenstock nich mehr dörhennsabeln konn un he af un an ganz angsdig nah de Sied schulde, um sick vorher de Stä uttosöken, wo he hennfallen woll, wenn he mal de Flautje kreeg.

„Wer kann denn nun mal eine Geschichte erzählen?“ frog Herr Ostermann, as siek sien Hohner- un Hahnenküken nah de Pause mit allerhand Gekakels, Gepiep un Gesnaters wedder baben up den Stock torechträkelt harrn. – Tschä! Dat weer so’n Sake! De eene Hälfte sweeg still, un de anner Hälfte sä nix un hörde to. De Bur de kiekt de Ule an, un de Ule kickt den Buern an, un numms mellde sick. – „Na!“ munterde Ostermann jem up, „wer weiß denn eine? Nur nicht bange sein! Ich erzähl euch nachher auch eine. Aha! Wer zeigt da den Finger? Na, dann erzähl mal!“ – So’n ganz lütt jet Miek, wittschen un zart, as so’n Pottblomen, de den Winter öber in’n düstern, dumpigen Keller stahn hett, dat stund nu up, streek schuchtern de lütt je Schorten glatt un fung denn mit’n dunne, piepselige Stimme an to verteIlen: „Un da wohnten mal Leuten bei uns ein, wo wir wohnen tun achtere Baljen, da so’n bischen runter beier Tieber. Un da warn die gans, gans schlurig un hatten so’n gans, gans klatterigen Sofa. Un so’n ganze Rummel Kinner hatte se auch, un die hauten mir ummer gans stark. Un blos das eine nich, das war ja man noch ,so‘ klein! (Se wiesde mit de Hänne ungefähr so grot as so’n Losbrod!) Un das hatte der Abär jist gebracht nach jem. Un da – auffenmal – da war das kleine Littje weg un könnten se gar nich wiederfinnen. Un da – da müßte die große Deern osternkummfermeert werden. Un als wie die osternkummfermeert werden sollte, da habense den alten klatterigen Sofa machen gelassen un aufgepulstert – und da – das war gans, gans gräßlich! Da funnense das ganze lüttje Kind ins Sofa wieder, zwischene Springfeddern un war ganz schrecklich tot, Herr Lehrer! Das is abers wahr, Herr Lehrer!“ –

Mit „Herr Lehrer“ schiende wat nicht so recht up’n Liek to sien, denn he keem mächtig ut’n Fassong, schuddelde siek un putzde siek woll so’n fief, seß Mal de Näse, wobie he dat Taschendok ganz vor dat Gesicht utbreede. – Nu wies den sick aber all mehr Fingers! Wenn dat so wat weer, von de Kante konnen se ok wat an’n Dag bringen! – „Herr Lehrer! Herr Lehrer, laß mir mal!“ „Ja, man los!“ niekde Ostermann, un ahne aftosetten snaterde so’n lütt je Rabbelsnute los: „Mein Bruder, mein kleiner Bruder, das issen ganzen Reissert, un der hat ummer klatterige Boxens, un mein Mudder, mein Mudder die schimpft denn ummer, dasse da gar kein Grund inkriegen, kriegen kann un sagt sie is ummer bei alle Löcher heil un sieben Katzen können nich eine Maus in die Boxen nich fangen. Un da harter mal wieder sone und da wohnet da in’n Schnoor, in’n Schnoor so’n ganzen alten Schneider, Schneider, un da mußte ich einmals voringes Jahr die Boxen hinbringen, damals aufen Abem. Un da un da den annern Morgen, da brachte die Frau ihr wieder mit all die klatterigen Löcher. Un da war der Schneider von’n Tisch gefallen un hatt’n Gehörnschlag gekrigt. Un da, wie die Frau weg war, da sagte mein Mudder zu mein klein Bruder: „Ziehste! Dat heß du de Schuld! De arme Snieder hett siek so verjogt vor dien klatterige Boxen un vor Schreek hetr’e ’n Slag krägen, ziehste!'“

„Oh, wie schreeklich! Wo gräßlich!“ gung dat up de Deernssied, un von de Jungens föhlden siek weeke an ähre Beenfutterals rum. Of se siek am Enne in dis sen Ogenbliek vornehmen, de jo duchtig to schonen, wiel dat anners ok mal so’n armen Snieder dat Leben kosten konn?

Wieldeß rueksteertde Ottjen up sien Bank henn un her. He harr sick fein wedder verhalt un weer duchtig up sienen „Just“. Nu heelt he den Finger hoch un frog drieste: „Herr Lehrer, soll ich mal eine?“ – Ostermann nickte em wedder frundlich to, un Ottjen fung an to vertellen: „Un da war mal’n Handwarksborsche, un der hatte kein Arbeit nich un bannig hungerig. Un da fingter an zu bädeln, un da kömmter in ein Haus un frägter: Habense woll ’n büschen Schlafgeld vor mir? – Nä! Müssen weitergehn! – Frägter: Habense woll ’n büschen was zu essen vor mir? – Nä! Müssen weitergehn! – Kömmter bei anner Leuten: Nä! Weitergehn! – Anners Haus: Immer nix. Kömmter bei so’n große Freemarktsbude, das war ’n Tiermonascherei mit Löben un so. Frägter den Mann: Habense woll ’n büschen Geld vor mir? – Nä! Gips nich! – Un da – willer all weitergehn, frägt der Mann: Könnse gut brillen? – Ja! sagter. – Denn brillen se mal! Un da – brillter: Uuuh! – Un da sagt der Mann: Das war ganz pfein! Denn könnense bei mich arbein. Ich happen Löbe, der is abers nich mehr gebennig, un den hab ich das Feld abgezogen. Nu missense in das Feld neinkrabbeln un in den Löbe sein Bauer nein un ummer tidirig brillen. Und da – da krabbelter im Bauer nein un brillter ummer Uuuh! Uuuh! Un da dachten die Leuten un Bauern, das weer ’n richtigen gebennigen Löbe. – Un da war abers in den annern Bauer, dune an den Löbe seinen, da war ’n Tiger in. Un da sprungte der Tiger ummer hin un her un ummer mitter Krallen gegen den Löbe seinen, da warn so Bräders zwüschen. Un da, auffenmal, da fallten die Bräders um un der Tiger sprungte in den Löbe sein Bauer. Un da schreite der Löbe: Hülfe, Hülfe! – Hülfe, Hülfe! – Un da, auffenmal, da sagte abers der Tiger: Minsch! Hol doch de Näse! Ick bin jo ok keen echten!“

„Das war aber ’ne feine Geschichte!“ lachte Herr Ostermann, un lä Ottjen de Hand up’n Kopp, „sag mal: Wer hat dir denn die erzählt?“ – „Dune bei uns an, da wird so’n hoges neues Haus gebaut“, anterde Ottjen, „un da warn die Mauerleuten auffer Stollaje un verzählten sich das.“

Nu keem de Lehrer an’r Reege un vertellde jem ’n Geschichte von den slauen Foß un de dummen Göse, un wiel de meisten noch keenen Foß sehn harrn, so kreeg he ’n grotet Bild ut dat Schapp un hung dat an de Wandtafel. – Kort vor veer vertellde Herr Ostermann jem noch eene, de vornehmlich use Ottjen scharp uplusterde un Woord vor Woord unnerknöpde. De Geschichte weer ungefähr so: Dar weer mal ’n Jung, de woll garnich nah’r Schole un makde sien Swester up’r Straten väl Verdruß. Da weern de Lüde bestahn bläben, harrn mit Fingers up den Jung wiest un harrn ropen: Kiek mal, wat’n olen unartigen Trotzkopp! De schamt sick keen bäten! – Den annern Tag harr de Jung siek aber doch schamt, weer still un artig nah’r Schole gahn un harr markt, datt dat doch fein weer in’r Schole, datt man dar duchtig wat lehrn konn un garkeen Släge kreeg, wenn man artig weer un good uppaßde. – Wenn Ottjen hochdütsch dacht harr, denn harr he ganz gewißt dacht: „der Wirklichkeit nacherzählt“ oder: „dem Leben abgelauscht“ oder so.

Der in der Jugend erblindete Georg Droste (1866-1935), als Korbflechter über das mündliche Erzählen im Familienkreis zum Schreiben gekommen, ist der Erzähler der Stadt des „tagenbaren“ Bremers und seines Platts. Im ersten Band seines bekanntesten und umfangreichsten Buches „Ottjen Alldag“ erzählt er, gestaltet aus eigenen Erinnerungen, die Kindheit eines kleinen Bremer Jungen am alten Osterdeich, wie er um 1870 aussah. Diesem Band – „Ottjen Alldag un sien Kaperstreiche“ – ist die Erzählung von Ottjens erstem Schultag entnommen.