Bedeutung der Straßen
Neben der Weser und ihren Nebenflüssen als einem natürlichen Verkehrsweg ermöglichten die Fußwege den Transport von Gütern. Diese Wege waren vielfach in der Nähe der Orte und Dörfer nicht sehr zielgerichtet, da hier insbesondere die Felder bewirtschaftet wurden und gut erreichbar sein mussten. Bevorzugt wurde auch die Wegführung an Bachläufen und Waldrändern. Die Römer legten als erste Fernstraßen in großem Stil an, um schnelle Truppenbewegungen zu ermöglichen.
In unserer Region waren diese Handelswege insbesondere zwischen den Hansestädten zu finden, die aber noch bis ins 17. Jahrhundert nur unwesentlich befestigt waren. Erst im 18. Jahrhundert erfolgte in Preußen der Bau von langen, geraden Straßen, die von Bäumen gesäumt waren. Diese dienten der schnellen Verlegung von Truppen; die Bäume sollten die Soldaten im Sommer vor der Hitze schützen. In den Ortschaften verliefen die Straßen jedoch weiter an den alten Flurgrenzen. Erst die Verlegung von Straßenabschnitten – insbesondere in unbebautes Gebiet – ermöglichte die Schaffung von geraderen aber auch großzügigeren Straßen im Ort. Dabei wurde vielfach auch ein Chausseecharakter bei den Hauptstraßen geschaffen.
Wie sich die Farger und Rekumer Straßen im Laufe der Jahre entwickelt haben, wurde von Mitgliedern des Heimatvereins mit großer Hingabe dargestellt.
Wolfgang Kobbe
(1. Vorsitzender )
Farger und Rekumer Straße
Die neue Chaussee von 1848, die heutige Farger und Rekumer Straße, bediente sich, soweit es möglich war, der alten vorhandenen Wege, aber auch Abkürzungen und Begradigungen wurden gebaut. In Farge-Süd waren die ca. 13 Häuser und Höfe weit verstreut. Nur am Wasserweg standen sieben Häuser dicht beieinander. Die neue befestigte Straße kam von Rönnebeck auf der alten Trasse. Drei Häuser standen hier schon, Farger Str. 1, 3 und 4.
Der weitere Verlauf wurde neu geplant und die „Alte Straße“ verlor ihre Bedeutung. Neben der neuen Chaussee war der Sommerweg als einfacher Sandweg angelegt, im Plattdeutschen „Biweg“, der nur bei gutem Wetter befahrbar war. Die neue Straße war aber immer noch so schmal, dass sich zwei Fuhrwerke nicht auf ihr begegnen konnten, eines musste auf den Sommerweg ausweichen. Der leichtere Wagen hatte Platz zu machen, denn auf der festen Chaussee konnten die Pferde die dreifache Last ziehen. Erst 1904 wurde in Farge die Landstraße etwas verbreitert, mit Blaukopf gepflastert und der Sommerweg verschwand.
Bei der Querung des Wasserweges mußte für die kleine Heidflut ein dickes Rohr verlegt werden und für die neue Chaussee viel Erde zum Aufschütten heran gefahren werden, denn der Wasserweg war durch viele Überschwemmungen sehr ausgewaschen. Oben auf der Geest gab es noch keine Bebauung, nur Felder und Wiesen.
Vom „Farger Holz“, dem ehemaligen Wald war ein kleiner Rest übrig, den man auch heute noch sehen kann. Er liegt zwischen der Abbiegung zur neuen B74 und der Alten Straße.
Als erster baute Hinrich Bringmann 1850 ein Haus an der neuen Straße. Lange blieb er nicht alleine, drei Jahre später baute die Steingutfabrik Witteburg die Kolonie für ihre englischen Arbeiter. Nach Verlassen des Geestrückens wird wieder die Trasse der „Alten Straße“ genommen. Hier mußte Erde aufgefahren werden, um die Chaussee hochwasserfrei zu halten. Hier stand eines der ältesten Farger Häuser, der Kochsche Hof. Nach mündlicher Überlieferung ist er in früheren Jahren vom Weserufer hierher gebracht worden, 1878 wurde der jetzt abgebrannte Hof erbaut. Nach einer großen Kurve kreuzt die Chaussee die Str. einen alten Weg zur Weser. An dieser Kreuzung lag früher der Dorfplatz. Die erste Feuerwehr in Farge hatte dort ihr Gerätehaus. Hier steht auch der Hof von von Lübken, der eine lange und bewegte Geschichte hat. Die Jahreszahl 1816 im Giebel weist auf einen großen Anbau hin, das Haus selbst ist älter. In diesem Hause befanden sich: Gaststätte mit Kegelbahn, Kaufmann, die erste Poststation in Farge, Radmacher, Fuhrunternehmer, und ein Bürgermeister kam auch aus diesem Hause.
Ein Haus weiter, beim Frisör, ging früher der Weg zum heutigen Pötjerweg ab, die Chaussee bekommt ab hier wieder eine neue Trasse. Die Straße verläuft jetzt gerade in Richtung Hildebold Straße, die früher dicht besiedelt war. Die Eisenbahn und der Bahnhof wurden 1888 gebaut. An diesem neuen Stück Straße baute 1854 der Bäcker Gerhard vor der Heide ein Haus, das aber schon 1868 von der Steingutfabrik Witteburg aufgekauft wurde, um einen Lebens-mittelladen für ihre Belegschaft einzurichten.
Dieser Laden wurde viele Jahre von der Familie Menger betrieben. Heute ist hier ein Blumengeschäft. Im großen Bogen ging die Straße weiter auf die Geest und überquerte beim heutigen Sportplatz die Straße „Unterm Berg“, die damalige Hauptstraße in Rekum.
Das Rathaus, 1845 von Diedrich Kieling als Bauernhaus erbaut, erinnert noch an die große Hofanlage Wittenberg, die auf alten Karten verzeichnet ist. Gradlinig führt die Straße weiter, die vorher vermutlich nur ein Trampelpfad war und für die Chaussee erhöht werden musste. Dies sieht man am ehemaligen Haus Dettmer, es liegt fast einen Meter tiefer als die Straße.
Am Kummerkamp, früher hieß die ganze Feldmark so, baut 1849 der Schlachter und Krämer Ludwig Ahrens sein Haus an der neuen Chaussee. Bei der Rekumer Kirche trifft die neu geplante Strecke wieder auf eine alte Straße, den Pötjerweg. Jetzt wird die Bebauung dichter, denn Rekum war damals das wesentlich größere Dorf, hier standen schon über einhundert Häuser. Unterhalb der Straße Hoher Esch verläuft die Fahrbahn weiter in vielen Windungen durch das Dorf. Das Gemeindehaus war die 1850 erbaute Schule. Für die vielen Schüler war ein 7×10 Meter großer Raum vorgesehen und der Lehrer August Meyer bewohnte mit seiner Familie vier Zimmer und Küche. 1905 wurde die Schule zum Gemeindehaus mit großem Versammlungssaal umgebaut. Nach nochmaligem Umbau wurde der Saal zur Turnhalle der Rekumer Schule, wo sie heute noch besteht. Im Laufe der Jahrzehnte riss man mehrere alte Gebäude für die Straßenbegradigung ab.
An der früheren Gastwirtschaft „Goldener Stern“ vorbei, führt die Straße in Richtung „Kaiserhalle“. Das Wirtshaus „Goldener Stern“ war eine Institution in Rekum. Beim Wirt Kühlke wurden viele Versammlungen abgehalten und Verträge unterzeichnet. Das alte Reetdachhaus riss man um 1900 ab und erbaute an gleicher Stelle das jetzt noch stehende Haus. Die „Kaiserhalle“, ein Lokal mit großem Saal, in dem Theater, Tanz und Filmvorführungen stattfanden, ist 1928 abgebrannt. Der Neubau entstand an gleicher Stelle und bekam den Namen „Rekumer Hof“. Die Straße führt weiter beim Autohaus Schleef vorbei zur Abzweigung nach Schwanewede.
Schleef hat schon früh in Rekum Radios und Fahrräder verkauft und repariert, dann eine Tankstelle betrieben, heute wird hier mit Autos gehandelt. Gegenüber der Straße „Vor den Wischen“ stand das Gasthaus mit gleichem Namen, das aber erst um 1910 gebaut wurde. Es war auch das Logenhaus in Rekum, in dem die Antialkoholiker ihr Domizil hatten. Um 1910 hatte die „Loge zur Eintracht“ in Rekum großen Zulauf. Gradlinig führt die Straße durch sandiges Brachland weiter nach Neuenkirchen.
1850 baute der Schneider Bleeke direkt an der Grenze zu Neuenkirchen ein neues Haus, das 1888 an Weidemann verkauft wurde. Das Gebäude wurde vor sechs Jahren abgerissen.
Alte Straße
Die Einmündung der Alten Straße in die Chaussee wurde 1877 etwas nach Norden verlegt, so dass das Grundstück vom Kahnschiffer Hinrich Oltmann etwas größer wurde.
In späteren Jahren sprach man vom Gärtnerhaus, das zur Villa Cramer gehörte, dem Sommersitz eines Bremer Kaufmanns.
Die Villa wurde 1912 erbaut und musste um 1990, wie vorher auch das Gärtnerhaus, einer kleinen Siedlung Platz machen.
Das gleiche Schicksal hatte der Hof Oltmann, später Arfmann, der 1774 erbaut und 1968 mit Scheune und Schweinestall abgebrochen wurde.
Nur die alten Eichen an der Straße, die früher kurzzeitig mal „Heerstraße“ hieß, zeugen vom früheren Standort.
Das Gehöft von Bauer Bergmann ist noch komplett erhalten, wird aber nicht mehr bewirtschaftet.
Die Anordnung der Gebäude rechts und links der Straße vermitteln den Eindruck über den Hof zu gehen.
Das war früher auch am Wasserweg verbreitet.
Nach dem Kreuzen des Wasserweges, der früher von der Weser bis in die Farger Heide führte und an dessen Ende die erste Farger Schule stand, steht das 1811 erbaut Haus von Freiwald, das bereits Anfang des 20ten Jahrhunderts eine alkoholfreie Gaststätte war.
Jetzt geht der Weg an Feldern und Wiesen vorbei, ein schmaler Weg führte zur Fähre, bis zum Hof von Schierholz / Lübsen, von dem seit 1990 nur noch die Obstwiese zeugt.
Diese alte Hofstelle ist bis ins 15.Jahrhundert nachweisbar.
Hier trifft die Alte Straße wieder auf die Chaussee.
Unterm Berg
Zwischen Brandhorst, früher Kaufmann, Bank und Gaststätte, und dem Farger Sportplatz führt die Straße zur Weser und knickt hier scharf rechts ab, um vom hohen Ufer zur tiefer liegenden Marsch zu gelangen.
Hier war die einzige Werft unserer Region ansässig, von Christoffers gegründet und von Arfmann und Seebeck weiter geführt.
Schräg gegenüber steht das Kahnschifferhaus, das dem Schiffer- und dem Heimatverein gehört. In dem Haus ist noch eine Küche aus den Gründerjahren des Hauses mit offenem Herdfeuer zu sehen.
Im weiteren Verlauf war die Straße nur an der Seite zur Geest hin bebaut.
Früher war das Weserufer hier lediglich wenige Meter entfernt, geändert hat sich das erst nach der Weserkorrektion um 1888.
Die Häuser, die hier standen waren alle reetgedeckte, von Schiffern bewohnte Häuser. Man betrieb auch noch Landwirtschaft für den eigenen Bedarf und hielt Vieh im Haus.
Wo jetzt die Marinehäuser stehen, war seit ca. 1800 die Schmiede von Chantelau.
Die Eisenteile für die vielen Weserkähne und für die Landwirtschaft wurden hier hergestellt, auch Pferde bekamen hier neue Hufeisen.
Die Straßen Heidbreite und Schmale Straße treffen ein Stück weiter auf die frühere Hauptdurchgangsstraße, die sich weiter von der Weser entfernt, aber noch immer durch die Marsch läuft und bald wieder auf die Landstraße, die neue Chaussee, trifft. Dieses letzte Stück Straße wurde 1929 mit Klinker gepflastert.
Seit 1786 ist die Familie Chantelau in Rekum ansässig und betrieb über viele Jahrzehnte die Dorfschmiede.
1940 wurde das Haus abgerissen.
Straßen in Farge und Rekum.
Von jeder Straße in der Gemeinde Farge-Rekum haben wir ein Aktenblatt angelegt aus dem die Bedeutung des Straßennamen hervorgeht.
Zwei Beispiele:
An der Amtsweide
Vor 1954 hieß diese Straße Pappelstraße, an der südliche Straßenseite standen große Pappelbäume, die bei der Bebauung um 1970 gefällt wurden.
Die Amtsweide, nach der die Straße heute ihren Namen hat, war früher das Gebiet zwischen Farger Str. und Richard-Taylor-Str., und zwischen dem Wasserweg und der Straße An der Amtsweide. Das Gemeindeland wurde 1870 von den 13 hier ansässigen Bauern dem Amt Blumenthal abgekauft.
Johannes-Trüper-Straße
*2.2.1855 – +1.11.1921
In Rekum wurde am 2. Februar 1855 der Bauernsohn Johann Trüper geboren. Nach dem die Dorfschule in Rekum ihn nicht mehr fördern konnte, besuchte er in Rönnebeck die Privatschule des Herrn Wilkens. Der Weg nach Vegesack, zur nächsten staatlichen „Lateinschule“, war ohne Verkehrsanbindung zu weit. Nach Abschluss dieser höheren Schule, mit 15 Jahren, hat er zwei Jahre lang als Hilfslehrer in Rekum die Kinder unterrichtet. In Stade hat er anschließend am Lehrerseminar teilgenommen und auch Unterricht erteilt. Nach dem Studium in Jena und auch Berlin hat er am 1. November 1890 in Jena die „Anstalt für schwer erziehbare Kinder“ gegründet. Zwei Jahre später gründet und leitet er die „Sopienhöhe“, ein Erziehungsheim und Jugendsanatorium.
Johann Trüper, er selbst nannte sich Johannes, war seit 1896 mit Elisabeth M. Dörr aus Bonn verheiratet und hatte sechs Kinder. Er starb am 1. Januar 1921 in Jena.
Der Verdienst von Johannes Trüper war die neue Sicht auf kranke Kinder. Er behandelte vorwiegend körperlich und seelisch belastete Kinder. Es bemühten sich Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen um das Wohl der Kinder. Die Sichtweise von Trüper war zu seiner Zeit revolutionär und hat die Behandlung erkrankter Kinder bis heute beeinflusst.
An seine Verdienste erinnert noch heute das „Sonderpädagogische Förderzentrum
-Johannes Trüper-, Schule für Erziehungshilfe“ in Chemnitz.
In Rekum hat eine kleine Straße seinen Namen bekommen.