Bremens längste Baustelle: Der Hochwasserschutz an der Weser. (WK)
Wilfried Döscher ist so etwas wie der Herr der Baustellen. Momentan hat er fünf. Drei im Norden, zwei im Zentrum. Und doch geht es nicht so schnell voran, wie es gehen sollte. Döscher, Chef des Deichverbands am rechten Weserufer, setzt mit anderen Verbänden um, was ein Generalplan vorschreibt. Sie sollen den Hochwasserschutz erhöhen und bis 2025 fertig sein. Eigentlich. Doch Bremens längste Baustelle – alles in allem 74 Kilometer – wird länger dauern. Döscher geht inzwischen davon aus, dass alle Arbeiten erst 2030 abgeschlossen sind. Voraussichtlich.
Fünf Baustellen zur gleichen Zeit. Seit Jahren geht das so. 2009 sind die ersten Kilometer Deich vom Verband erhöht worden. In Rekum war das. Von der Landesgrenze bis zur Straße Unterm Berg – abgehakt. Genauso wie ein Bereich an der Bundesstraße 74 in Farge. Wie ein Abschnitt zwischen Bahrsplate und Bürgermeister-Dehnkamp-Straße. Wie ein Teil des Werderlandes. Und demnächst kann Döscher das nächste Häkchen machen. Hinter der Spundwand beim Blumenthaler Fähranleger: „Nur einmal muss dort noch gerammt werden, dann ist endgültig Ruhe.“
Niedersachsen ist bereits weiter
Der Verbandschef hat es grob überschlagen. 40 Prozent des Hochwasserschutzes in seinem Gebiet sind mittlerweile erledigt. Macht etwa 15 Kilometer neuen Deich und sechs Kilometer neue Spundwände. Und an den nächsten Kilometern wird bereits gearbeitet. Zum Beispiel in zwei weiteren Bereichen der Bahrsplate. Zum Beispiel hinterm Klärwerk in Farge. Zum Beispiel in der Nähe von Kühne + Nagel im Zentrum und an der Schlachte nicht weit davon entfernt. Doch so sehr sich der Verband mit Baggern und Rammen auch beeilt, nicht alle Termine können eingehalten werden.
Niedersachsen, Partner beim Generalplan Küstenschutz, ist weiter. Zumindest wenn man die fertigen Uferstrecken auf Nordbremer mit den gegenüberliegenden in der Wesermarsch vergleicht. Dort sind die bereits erhöhten Abschnitte lang, die noch erhöht werden müssen, kurz – anders als auf Blumenthaler, Vegesacker und Burglesumer Seite. Der Oldenburger Deichband ist inzwischen dabei, die vorletzte größere Deichstrecke aufzustocken: zwischen Ranzenbüttel und Berne-Ohrt. Der Baubeginn im Vorjahr war planmäßig.
Zeitplan verzögert sich bei mehreren Bauvorhaben
In Bremen verzögert er sich immer mal wieder. Nicht nur bei einem Projekt, sondern bei mehreren Vorhaben. Mal um ein Jahr, mal um zwei Jahre. Beim Bernhardt¬ring in Farge-West sollte 2018 Baustart sein, jetzt geht Wilfried Döscher von 2019 aus. Beim Kraftwerk Farge wollte der Deichverband ursprünglich 2017 loslegen, nun spricht dessen Chef von 2018. Auch beim früheren Gelände der Bremer Woll-Kämmerei in Blumenthal, am Hafen in Vegesack und in einem Abschnitt im Werderland verspätet sich der Baubeginn.
Die Gründe sind so vielfältig wie die Arbeiten, die anstehen. Für einige fehlt das abschließende Okay des Bauamtes, für andere ist der bürokratische Prozess längst nicht abgeschlossen. Es gibt Gespräche mit Eigentümern und Anwohnern, die noch laufen. Detailfragen, die mit Stadtplanern noch abgestimmt werden müssen. Anträge, die noch nicht genehmigt sind. Döscher sagt, dass die Verfahren im Schnitt etwa ein Jahr dauern. Und dass er es gut findet, dass so gründlich vorgegangen wird, damit jeder zu Wort kommt und jedes Projekt am Ende gut und von allen getragen wird. Oder von so vielen wie möglich.
Manchmal verzögert sich ein Termin aber auch deshalb, weil die Baustelle länger dauert als geplant. Wie bei der Spundwand in Blumenthal, bei der es plötzlich Probleme gab. Um die Stahlwände in den Grund der Weser rammen zu können, musste erst ein Findling im Wasser weg. Der Brocken im Boden war so groß, dass er nicht in einem Stück ans Ufer gehievt werden konnte, sondern mit einem Bohrer wieder und wieder zerkleinert werden musste. „Das“, sagt Döscher, „hat Zeit gekostet.“ Mit dem Findling hatten weder die Behörde noch der Deichverband gerechnet.
Teilabriss des Haven Höövts „ändert alles“
Genauso wenig damit, dass das Einkaufszentrum Haven Höövt jetzt tatsächlich zum Teil abgerissen werden soll. Die Ankündigung des neuen Eigentümers vor wenigen Wochen wiegt für Döscher sogar schwerer als der überraschende Fund des Findlings. Für den Verbandschef verändert ein kleineres Gebäude am Hafen „einfach alles“. Der Hochwasserschutz, meint er, muss dort von Grund auf neu gedacht werden. Döscher spricht von Plänen, die fast fertig waren und quasi über Nacht hinfällig geworden sind.
Was nun am Hafen werden soll, weiß er nicht. Der Mann weiß nur, was jetzt noch einmal verändert werden muss: die sogenannte Hochwasserschutzlinie für das historische Quartier am Hafen, den Hafen selbst und den Bereich rund ums Haven Höövt. Mit 1,2 Kilometern ist sie zwar vergleichsweise kurz, aber absolut obsolet. „Momentan“, sagt Döscher, „verläuft sie wieder so, wie sie mal war, bevor wir sie das erste Mal neu geplant hatten.“ Nicht zwischen Lesum und Einkaufszentrum, wie sie verlaufen müsste – sondern mitten durch das Gebäude hindurch.
Um das zu korrigieren, war Döscher im vergangenen Jahr mehrmals beim Bauamt und mehrmals im Beirat. Mit dem überarbeiteten Verlauf der Schutzlinie waren beide im Grunde einverstanden. Aber nicht mit allen baulichen Eingriffen, die der Verband zum Schutz vor einer Flut für notwendig hält. Am Vegesacker Fähranleger will er beispielsweise das Deichschart beim Kiosk schließen – das Bauamt den Durchgang aber geöffnet lassen. Am Kopf des Hafens wollen die Hochwasserschutz-Planer eine hohe Spundwand samt Treppenanlage – die Vegesacker Fraktionen jedoch freie Sicht auf die Schiffe.
Baustart für Hochwasserschutz am Hafen frühestens 2020
Eigentlich wollte der Deichverband mit den Arbeiten für den Hochwasserschutz am Hafen im nächsten Jahr beginnen. Doch weil die überarbeitete Schutzlinie ein weiteres Mal überarbeitet werden muss und Döscher einen städtebaulichen Wettbewerb an dieser Stelle für eine gute Sache hält, geht er jetzt von einem Baustart frühestens 2020 aus. Immer vorausgesetzt, der neue Eigentümer des Haven Höövts kann zügig einen Detailplan für ein verkleinertes Gebäude vorlegen und den Entwurf von Politik und Bauamt genehmigen lassen. Döscher: „Davon hängt alles ab.“
Wie sich die neuen Pläne für das Gebäude auf die Kosten für den Hochwasserschutz auswirken, darüber kann der Verbandschef nur spekulieren. Bisher war er von einer Summe von zehn Millionen Euro für Vegesack ausgegangen und von rund 300 Millionen für Bremen insgesamt. Unterm Strich werden Deiche und Spundwände um bis zu 70 Zentimeter aufgestockt. Darauf haben sich die Partner des Generalplans verständigt. Sie stützen sich dabei auf Berechnungen des Forschungszentrums Küste. Andere Länder machen mehr. Die Niederlande, sagt Döscher, erhöht die Deiche um mindestens einen Meter.
Dass irgendwann nicht mehr ausreicht, was jetzt zum Schutz obendrauf kommt, hat der Verband einkalkuliert: „Alle Deiche und Spundwände werden nicht nur höher, sondern auch tragfähiger gemacht, um irgendwann noch einmal 75 Zentimeter draufsatteln zu können.“ So gesehen, sagt Döscher, bereiten sich Bremen und Niedersachsen schon heute auf die nächste Runde beim Hochwasserschutz vor. Wann die anstehen könnte, lässt er offen.
Wissenschaftler des Zentrums für Material- und Küstenforschung in Geesthacht gehen davon aus, dass in den nächsten 13 Jahren die Wasserstände bei Sturmfluten um 20 Zentimeter höher ausfallen als heute. Bis zum Jahr 2085 sogar um 70 Zentimeter – wenn denn der weltweite Klimawandel den Meeresspiegel nicht schneller steigen lässt als bisher.
Quelle: Die Norddeutsche
von Christian Weth 24.05.2017