Farger Kraftwerk
Die Geschichte des Kraftwerks in Farge
Von Jörg Bolz aus dem Archiv HVFR, aktuelle Fotos 2022, 2023 Jörg Bolz
Die Entscheidung für den Kraftwerksbau ist gefallen
Die Geschichte des Kraftwerks Farge beginnt am 27. Januar 1922 im Siemenshaus zu Berlin mit der Gründung der Kraftwerk Unterweser Aktiengesellschaft mit Sitz in Hamburg. Im ersten Geschäftsbericht der Gesellschaft heißt es hierzu:
„Die Absichten, von denen die Gründer der Gesellschaft geleitet waren, zielten“ darauf, „durch die Errichtung eines Kraftwerkes in Farge a. d. Unterweser und eines Hauptschalt- und Umspannwerks in dem benachbarten Berne“, „das an der Unterweser gelegene, industriell und landwirtschaftlich bedeutsame Gebiet, mit Licht und Kraft zu versorgen“.
Es ist so weit – Strom aus Farge
Im Dezember 1924 ist es so weit: Das Kraftwerk Unterweser in Farge geht mit 12 MW Turbinenleistung in Betrieb. Der Standort an der Weser ist für einen Kraftwerksbau prädestiniert: Die Kohle kann sowohl mit Hochseeschiffen an einem Kai angelandet als auch auf einer nahegelegenen Normalspurbahn herangeschafft werden. Für ausreichende Mengen Kühlwasser sorgt die Weser selbst.
80 MW-Leistung Mitte der 40er Jahre
Die „besondere Aufgabe“, durch gesteigerte Leistungsfähigkeit den Ring der Strombezieher zu schließen“, bewältigt das Kraftwerk Unterweser in Farge mit einer Verdreifachung seiner Werksleistung bis zum Jahr 1944. Nach drei Erweiterungen verfügt das Kraftwerk über 80 MW Leistung. In seiner Festrede anlässlich des 25jährigen Jubiläums würdigt der Betriebsleiter Küchen die Belegschaft, die dies geleistet und unter Einsatz des eigenen Lebens 61 Nachtalarme hintereinander überstanden habe.
50 Jahre Nordwestdeutsche Kraftwerke Aktiengesellschaft
25 Jahre Kraftwerk Unterweser in Farge
„Herzstück der norddeutschen Wirtschaft feierte am Wochenende 25jähriges Bestehen“, so zu lesen in der Norddeutschen Volkszeitung am Montag, den 16. Januar 1950.
1950 ist zugleich ein bedeutendes Jubiläumsjahr für die Nordwestdeutsche Kraftwerke Aktiengesellschaft mit Sitz in Hamburg. Sie hat ihren Ursprung in der 1900 gegründeten Siemens Elektrische Betriebe A.G., auf die die Kraftwerk Unterweser-Aktiengesellschaft 1925 verschmolzen wird. Im selben Jahr erfolgt die Umbenennung in Nordwestdeutsche Kraftwerke Aktiengesellschaft.
In den Jahren 1950 und 1951 wird die Leistung des Kraftwerks Unterweser im Zuge einer Erweiterungsmaßnahme nahezu verdoppelt. Mit einer jährlichen Stromabgabe von 600 Millionen Kilowattstunden zählt das Werk in Farge zu den größten Kraftwerken Deutschlands.
Das Kraftwerk als Garant für den Wiederaufbau
Der Bedarf an elektrischer Energie zur Zeit des Wiederaufbaus lässt auch das Kraftwerk in Farge weiterwachsen. Mit seiner Werksleistung von 212 MW nach einer Erweiterung um 70 MW in den Jahren 1953 und 1954 sichert das Kraftwerk Unterweser die Stromversorgung von Haushalten, Gewerbe und Industrie im ganzen nordwestdeutschen Raum. Rund 400 Beschäftigte im Kraftwerk leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau des Gebiets zwischen Elbe und holländischer Grenze.
1967/69 Der neue Block I als „Farger Wahrzeichen“
so würdigt die Norddeutsche Volkszeitung bereits am 11. Februar 1967 den neu entstehenden Block I. Mit seinen 320 MW werde der bisher größte Kraftwerksblock der Hansestadt ab dem Jahr 1969 „die nordwestdeutsche Elektrizitätsversorgung mit Ausnahme der, Enklaven‘ Bremen, Hamburg und Kiel wirksam ergänzen“.
Befeuert mit Ruhrkohle, könne die mit einem Elektro-Entstauber ausgestattete Anlage ausreichend Strom bereit stellen für rund 600.000 Einwohner und einen Industriebetrieb mit den Dimensionen des Klöckner-Werks. Mit 508 MW ist das Kraftwerk in Farge nunmehr das größte Werk der NWK.
60 Jahre Kraftwerksgeschichte werden entsorgt
Schon Anfang der 1969er Jahre wurde der erste markante, mehr als 90 Meter hohe, Schornstein abgebaut. Der zweite folgte im Jahr 1973.
Das Abbauen erfolgte durch „Handarbeit“, also von oben, Schicht für Schicht. Die Steinbrocken ließ man einfach in den Schornsteinschacht fallen. So wurden auch die beiden letzten Schornsteine 1985 abgebrochen.
Abgebrochen wurde zuerst der Teil, in dem sich Maschinen und Kessel befanden. Der Bürotrakt blieb vorerst stehen. Das Areal, wo der Abbruch erfolgt war, wurde zunächst mit Gras eingesät. Stillgelegt worden ist das Altwerk, dessen Hochdruckanlage 1951, der Block IV 1956 und der Block VII 1954 entstanden, wegen Überalterung. Die Maschinen seien schon 30 Jahre alt gewesen, als sie aus dem Betrieb herausgenommen wurden, hieß es beim Kraftwerk. Die Maschinen wurden demontiert und die Kessel gesprengt.
…die hellen ‚Rauchwolken‘ aus den Schornsteinen
sind der Lokalzeitung „Beweis für die Wirksamkeit“ der zusätzlichen Elektro-Staubfilter, mit denen in den 70er Jahren sowohl das Altwerk als auch der neue Block I ausgestattet worden sind. 1988 folgt eine Rauchgasentschwefelungsanlage:
Die Rauchgase werden in einem Waschturm mit einer wässrigen Kalklösung besprüht. Schwefeldioxid und Kalk verbinden sich. Es entsteht Gips, der in der Bauindustrie Verwendung findet. Primärmaßnahmen an der Kesselbefeuerung und Katalysatoren sorgen darüber hinaus für die Minderung von Stickoxiden.
„In Farge“ – so das Blatt – „wird der Strom umweltfreundlich hergestellt“
Mehr Energie aus weniger Brennstoff
Als der neue Block I mit 320 MW 1969 in Betrieb ging, besaß er schon einen Wirkungsgrad von 36,5%. Im Laufe der folgenden Jahre arbeiteten die Ingenieure stetig daran, mit der richtigen Einstellung der Anlage und mit dem Einsatz neuster Technik die Leistung des Kraftwerks und gleichzeitig auch den Wirkungsgrad zu steigern. Eine erste Leistungssteigerung konnte im Jahre 1989 erreicht werden. 325 MW und ein Wirkungsgrad von 39,4 % konnten erreicht werden. Die zweite und größte Steigerung der Leistung wurde dann 2004 durch den Einbau einer neuen Mittel- und Niederdruckturbine erreicht. Weitere Optimierungen und Verbesserungen in verschiedenen Teilen der Anlagen, sowie die Erneuerung der Hochdruck-Turbine erbrachten schließlich 350 MW Leistung und einen Wirkungsgrad von 42,5%. Damit war das Kraftwerk Farge ab 2007 das Steinkohle-Kraftwerk mit dem höchsten Wirkungsgrad und somit der geringsten CO2 Emission in Deutschland, [2].
Alternativer Brennstoff und Stilllegung
Bereits 1993 wurde in einer europaweiten Versuchsreihe im Farger Kraftwerk der Nachweis erbracht, dass Rückstandsschlamm aus Kläranlagen zusammen mit Kohle verbrannt werden kann. Die Klär-schlammmverbrennung wurde 2001 in Betrieb genommen. Versorgt wird das Kraftwerk mit den Reststoffen aus der benachbarten Farger Kläranlage. Der Schlamm wird unterirdisch zum Kraftwerk gepumpt, getrocknet und im Kohlekessel mit verbrannt, [4].
Im Hinblick auf die zu erwartende Klimakrise soll seit 2021 schrittweise die Erzeugung von elektrischer Energie durch den Einsatz von Kohle in Deutschland reduziert werden. Der aktuelle Betreiber Onyx Power plante deshalb, mit dem Kraftwerk Farge aus der Steinkohleverstromung auszusteigen und stattdessen Strom aus der Verbrennung von Altholz zu gewinnen, [5]. Für die endgültige Stilllegung der Verbrennung von Steinkohle war der 31. Oktober 2022 vorgesehen. Wegen der Energiekrise, ausgelöst durch den Ukrainekrieg (seit Februar 2022), entstand bundesweit eine Gasmangellage. Dies führte dazu, dass das Kraftwerk Farge noch bis 31. März 2024 weiter betrieben werden kann. Die Anlage wird dann voraussichtlich stillgelegt und vom Netz gehen. Der Standort Farge soll allerdings zur Energieerzeugung durch die Onyx Power Group erhalten bleiben. Welche Technologie oder welcher Brennstoff in Zukunft eingesetzt wird, ist derzeit noch völlig offen. Eine Option ist der Aufbau einer Wasserstoffproduktionskapazität. Es besteht also eine gewisse Chance, auch wegen des Schiffsanleger und der Hochspannungsleitungen, dass Farge auch in Zukunft als Energieumschlagplatz erhalten bleibt, [6].
Eigentümer des Kraftwerk Farge
1922 gründeten die Siemens Elektrische Betriebe AG (SEB) und die Schweizerische Gesellschaft für elektrische Industrie (Indelec – Société suisse d‘Industrie électrique) die Kraftwerk Unterweser AG. Diese Gesellschaft gab den Bau eines Kraftwerkes in Farge in Auftrag. Keine zwei Jahre später verschmolz die Kraftwerk Unterweser AG mit der SEB, die sich 1925 aus dem Siemens-Firmenverbund löste. Die Aktienmehrheit übernahm der preußische Staat und das Unternehmen wurde in Nordwestdeutsche Kraftwerke AG (NWK) umbenannt. Die NWK erzeugte und lieferte Strom für den nordwestdeutschen Küstenraum zwischen den Niederlanden und Dänemark. Unter ihrer Regie wurde 1966 der Neubau des Blocks 1 in Farge gestartet.
Durch Zusammenschluss mehrerer preußischer Kraftwerksunternehmen wurde 1927 die Preußische Elektrizitäts AG (PreussenElektra) gegründet, die wiederum seit 1929 eine Tochter der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG (VEBA) war. Trotz der engen Verbundenheit und Zusammenarbeit wurden NWK und PreussenElektra erst 1985 verschmolzen. 2000 erfolgte die Fusion der VEBA mit der Vereinigte Industrieunternehmungen AG (VIAG) zur E.ON AG. Der Kraftwerksstandort Farge wurde dabei in die E.ON Kraftwerke GmbH eingegliedert, [7]. 2009 wurde das Kraftwerk Farge von der französischen GDF-SUEZ- Gruppe (seit 2015 Engie) übernommen, [7]. 2019 verkauft Engie seine 4 Kohlekraftwerke und damit das Farger Kraftwerk an die amerikanische Investmentgesellschaft Riverstone Holdings LLC. Riverstone kauft die Kraftwerke über ein neues Unternehmen mit Namen Onyx, [8]. 2019 – 2023 Onyx power betreibt das Kraftwerk Farge.
Quellen:
[1] Broschüre in Taschenformat zur Ausstellung 75 Jahre Kraftwerk Farge
[2] „neben.an“ , Zeitung für die Nachbarn des E.ON-Kraftwerk Farge, Ausgabe 02.2009
[3] Boschüre Preussen Elektra, Kraftwerk Farge, Strom und Umwelt
[4] Website Onyx Power: www.onyx-power.com/de/standorte/kraftwerk-farge/
[5] Kraftwerk Bremen-Farge erhält Zuschlag für Beendigung der Kohleverstromung, Pressemitteilung Onyx Power, 14.07.2021
[6] Die Norddeutsche, 06.10.2023, „Betreiber bereitet Stilllegung vor“
[7] Wikipedia/Kraftwerk Farge
[8] Weser-Kurier, 30.10.2019, „Warum ein US-Investor ein Kohlekraftwerk in Bremen kauft“